Der Regenbogen (Teil 3)

"Siehst Du! Den kann ich Dir nicht liefern, oder genauer gesagt, der will nicht kommen, weil er gar nicht weiß, dass Du auf der Welt bist". Aber das macht nichts. Frag mich doch mal irgendetwas, wovon Du meinst, dass Dir Dein Vater dies erklären könnte".
'So etwas Blödes! Man kann doch nicht einfach mitten in der Nacht bei fast großen Mädchen ins Zimmer steigen, Vater oder Großvater spielen und nach Fragen fragen. Das hält doch keine Sau im Kopp aus! Oder genauer (der Alte hat ne komische Art sich auszudrücken) mir fallen doch so keine Fragen ein!' Jir denkt und denkt, aber die Fäden ihrer Gedanken verheddern sich. Die Situation schießt in ihrem Kopf Purzelbäume. Wohin sie auch greift, alles löst sich in die sprichwörtliche "heiße Luft" auf.
"Denk doch einfach, ich sei ein Geist, dazu da Fragen zu beantworten." bohrt sich die Stimme das Alten in ihr Zentrum und die verrückten Gedankenkreisel werden abrupt abgebremst. Angenehme Ruhe kehrt ein. Also kein alter Mann, ein Geist. Jir denkt an alles, was sie über Geister gehört hat. Leicht - die Delle auf ihrem Bett verschwindet.
Unsichtbar - die Gestalt wir dünner, schließlich ist sie entschwunden. Könnte auch wie ein Vater der anderen Mädchen aussehen. Die Gestalt eines etwa Fünfzigjährigen in Straßenanzug, mit weißem Hemd und Krawatte schwebt Kopf-unten mitten im Zimmer und lächelt etwas gezwungen.
"Lass mich runter" bittet die altbekannte Stimme, deren Färbung nun deutlich jünger ist, als vorhin. Jir denkt an Schwere - die Gestalt plumpst unsanft auf ihr Bett, rollt sich seitlich ab, und landet mit Gepolter neben Jirs Bett. "Keine gute Idee!" meint der elegante, nunmehr etwas zerknitterte Herr im Straßenanzug mit grau-blauem Fischgrätmuster. "Könntest Du in Zukunft etwas genauer den-ken, wenn's beliebt!". Der Geist nimmt verletzliche Züge an. Jir entspannt sich sichtlich, rutscht ganz unter ihre Decke.
"Was machst Du, wenn ich jetzt einschlafe?" - "Ganz einfach" antwortet der elegante Herr mit der jüngeren Ausgabe der Jechov-Stimme, "dann schlafe ich auch!". "Kann ich dich wegwünschen?" Jir schießen jetzt die Fragen nur so heraus. "Gewiss, aber welchen Sinn sollte das haben. Du wolltest doch jemand, der Deine Fragen beantwortet. So jemand glaube ich zu sein". - "Dann sag mir doch, wo sich mein richtiger Vater jetzt in diesem Augenblick befindet". Jir kommt die Frage sehr praktisch vor; denn Mama ist heute Abend im Theater und muss jeden Moment zurückkom-men. "Dein leiblicher Vater schläft im Augenblick bei seiner Frau in Freiburg - und, ich betone es nochmals, weiß von Dir nichts. Außerdem hat er noch zwei weitere Kinder.
Immer noch interessiert?" - "Ja, doch!" Jir ist sich hingegen nicht mehr so sicher, ob sie noch die Wahrheit sagt. Aber was geht das den Geist Jechov an? "Darf man Geister anlügen?" fragt sie laut. "Nutzt es Dir?" kommt die Gegenfrage.

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