Das Jahrhundertwerk (Teil 4)

Da Qoatl von Hineinlegen nichts gesagt hat, legt Pakala jeden Tag einige Steine mehr in die Zinkwanne an der Quelle. Schließlich muss Qita ihr erklären, dass man auch das nicht darf, weil dann alle nicht mehr genug zum Trinken haben. Mit dem tiefen Seufzer des Verzichtes auf alles Interessante dieser Welt verspricht Pakala ihrer Mutter, überhaupt keine Steine in die Quelle zu legen. "Na, uns bleibt ja noch der See!" verkündet sie resigniert.

Als die Regenzeit hereinbricht, wird es kalt hier oben in den Bergen und das vom Himmel herabstürzende Wasser bestimmt das karge Leben. Qita und Inti haben schon einiges ernten können.
Sobald die Regenzeit zu Ende geht, säen und pflanzen sie erneut. So beginnen die Jahre hier oben.

Zur gleichen Zeit beginnen die Jahre des Bauens unten in der Ebene. Die Kernkräfte produzieren die Energie, mit der große Stahlkolosse an langen, dicken Kabeln die Berge abnagen. Kanäle sind bis an die jeweiligen Grabungsstellen heran geführt worden. Jetzt werden die Gebirge zertrümmert und auf langen Bändern bis zum Wasser befördert. Dort übernehmen Schiffe den Abraum, fahren auf See hinaus. Dort öffnen sie die Bodenschotten und lassen ihre Ladung einerseits in den Tiefen des Atlantischen und andererseits des Pazifischen Ozeans hinabsinken - Tag für Tag, monatelang, jahrelang.

Man untergräbt immer den Fuß der Berge, bis riesige Brocken herabstürzen. Diese werden weiter zerschlagen und dann wie beschrieben aufs Meer verfrachtet. Die Ozeane sind ja tief genug!

Der eintausendvierhundert- und dreißigste Tag beginnt mit dem tiefsten Morgenrot seit Menschengedenken.
Qoatl ist jetzt fast 7 1/2 Jahre alt, seine Schwester erwartet demnächst ihren 6. Geburtstag. Die kleine Familie hat sich durch all die Regenzeiten hindurch auf ihrem Anwesen halten können. Manches Mal musste die Company mit Lebensmitteln und Medikamenten einspringen. Die Lebensmittel kamen zwar immer noch rechtzeitig, die Medikamente immer dann, wenn die Krankheit schon vorbei war. Inti und Qita wissen noch viel aus der Medizin ihres Volkes, so dass sie bisher überlebt haben.

Qita hat vor ein paar Jahren noch ein kleines Mädchen bekommen sollen. Jetzt erinnern nur noch ein paar aufgeschichtete Steine und ein kleines Holzkreuz an dieses traurige Kapitel. Die Laster der Company waren wieder einmal nicht rechtzeitig da, als sie dringend benötigt wurden.

Das Morgenrot geht in einen bleiernen Himmel über, dann öffnen sich dessen Schleusen und wahre Flüsse ergießen sich zur Erde.
Als erste flüchten sich die Hühner in den nahen Wald, dann reißen die Schweine ihr Gatter ein und rennen den Hühnern nach.

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