Das Blaue Leuchten

© Ekkard Brewig, 5. Oktober 1996 / 9. Mai 2004

Blaues Leuchten ©E. Brewig
Der Erdboden stürzt rückwärts. Ehe sich die Angst in mein Herz krallt, erfassen meine Sinne, die ganze Scheibe des Blauen Planeten. Doch auch dieser Anblick flieht. Zurück bleib für Augenblicke das tiefe Schwarz des Universums und das kalte Licht der Sterne. Die heimatliche Sonne hat sich in ein namenloses Lichtpünktchen verwandelt. Meine Welt flieht vor mir in die Unendlichkeit. Einige Herzschläge später gerinnen Milchstrassen zu verlorenen Lichtflecken, dann fällt das Universum vor mir in das absolute Nichts. Ein kleiner Lichtblitz noch, dann liegt mehr als alle Welt vor mir, noch ehe sie erschaffen wurde. Grauen ergreift meinen Geist, als ich versuche, mir mit der Hand durchs Gesicht zu fahren. Nichts! Alles, was ich zu ertasten trachte, hat sich dem Nichts ergeben. Nur mein Grauen und ich selber bilden die einzige Realität. In diesem Zustand der unendlicher Angst tröpfelt jegliche Struktur aus meinem Bewusstsein heraus. Ich fühle, wie das Alleinsein in einem Ozean voll Leere und Ewigkeit meine Gedanken und meine Erfahrungen hinweg spült, als seien sie nie gewesen. Ich trauere um die verlorene Welt, deren Erfahrungen mir hier nichts mehr nützen werden. Dabei taucht aus den Tiefen meiner Seele eine Geschichte wieder auf, die ich mal geträumt habe, als ich jung und verliebt die ersten Tage mit meiner späteren Frau durchlebt habe: Ich saß mit ihr in einer weißen Kutsche, gezogen von vier Schimmeln. Wir hoppelten eng umschlungen durch den Westerwald. Wer ihn kennt: über den Rheinhöhenweg.
Die Bäume bildeten ein hohes Dach. Die Sonne malte Kringel auf den Boden. Der Sommer versuchte die Kühle des Waldes zu vertreiben. Die Welt schimmerte grün und bunt. Vogelgezwitscher in allen Tonlagen erfüllte die Lücken zwischen den Bäumen. Falter gaukelten durch den grünlichen Schatten. Manchmal kitzelten Fliegen auf unseren Händen, ließen sich aber schnell vertreiben. Als ich so an diese Geschichte in glücklicher Zeit zurück denke, sagt meine junge Frau: "Au, was schlägst Du mich?". Ehe ich ihr antworten kann, gräbt sich mir die absonderliche Situation ins Bewusstsein. Es dauert einige Herzschläge, bis ich mich aus dem extremen Grauen in die Realität gewordene Geschichte hineinleben kann. Ich spüre den weichen Körper in meinen Armen und das sanfte Gewicht. Sie ist wirklich da!

blättern: weiter >