Die freie Auswahl (Teil 4)

"Komm 'mal schnell!" Einige Mädchen riefen mich bedeutungsschwer und drängend zu sich. Eine Gruppe von vier Freunden, kann man nun nicht einfach verlassen - schon gar nicht, wenn Mädchen irgend etwas wollen. Ausnahmen sind Todesfälle naher Verwandter, Katastrophen aller Art einschließlich Weltuntergang und der Heimruf durch unsere Mutter - sonst nichts!
Also sagte ich mehr zu mir selbst, aber so, dass meine Umgebung es hören sollte: "Was wollen die denn schon wieder?" mit der Betonung auf "die". Aber die Damenriege ließ nicht locker. "Die Ute, Deine Schwester hat die Freie Auswahl"! Immerhin kam die Freie Auswahl dem Weltuntergang recht nahe. Also machte ich mich betont lässig auf den Weg durch die Menge immer hinter meinen Anführerinnen her.
"Freie Auswahl!" Nur allmählich sickerte dieser bisher abstrakte Begriff durch die Schaltstellen meines kindlichen Gemütes. Wünsche formten sich zu Gestalten, bis die große Puppe - oder war's ein Teddybär? - aus all diesen Schemen hervortrat und kometenhaft schimmernden Glanz gewann.
Als die Freundinnen meiner kleinen Schwester mit mir im Schlepptau vor dem großen Losbudenwagen mit den vielen bunten Bällen, Ballons, Herzen, Puppen, Teddys und vielen Nützlichkeiten ankamen, war die Ute schon vom Betreiber nach oben geholt worden.
Dort stand sie nun einsam und verloren neben dem großen
Mann mit dem in ein Taschentuch eingewickelten Mikrofon. Ihre Blicke irrten von Wunsch zu Wunsch, von denen einer wahr werden sollte - nur einer! Wünschen wollte offenbar gut bedacht sein.
Der große Mann schwatzte wie ein Krämer, der seine Ware über alles lobt. Ich weiß gar nicht mehr, was er alles gesagt hat, aber seine Stimme klatschte uns um die Ohren wie ein Wasserfall. Die Lautsprecher ermutigten alle anwesenden, doch auch Lose zu kaufen. Denn jedes 10-te Los ... usw. Er wurde nicht müde, die Zeit der Freien Auswahl durch Anpreisungen toller Gewinne zu überbrücken. Dazu zirpte und quiekte die akustische Rückkopplung, wenn der lebhaft bewegte Sprecher sich an geeigneten Stellen der Bühne aufhielt.
Unten kauften die Leute, als gebe es etwas umsonst. Wir Kinder krabbelten zwischen den Beinen der Großen hindurch, um den freien Platz vor der Bühne zu erreichen. Ich starrte nach oben, wo Ute verloren vor den Kostbarkeiten dieser Welt vom Budeninhaber hin und her geschoben wurde: "Hier, mein Mädchen, eine Puppe, Schlafaugen, Mama-Stimme. Du wirst sie lieben". Augen mit unglaublichem Schwarz hefteten sich auf den Traum eines Mädchenherzens. Schubs! "Und hier, meine kleine Lady, dieser wunderschön weiche Teddybär - so richtig zum Knutschen in der Modefarbe lila mit goldenen Schleifchen. - und", fügte er nach einer Kunstpause ein, "mit zwei weiteren Schleifen in schwarz und rot, passend zu jedem Anlass!" Aus mir unerfindlichen Gründen schmückte er sein Gesicht mit einem Grinsen.

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