Das Jahrhundertwerk

© Ekkard Brewig, Januar 1997 / 16. Mai 2004

Eigentlich beginnt die Katastrophe im fernen Baltimore. Die Leute dort planen sehr genau und sie machen keine Fehler. Wissenschaftler und Ingenieure haben ihr gesammeltes Wissen und ihre Erfahrungen zusammen getragen. Endlich ist es soweit: Die großen Spreng- und Säge- Arbeiten können durchgeführt werden. Die restlichen Bauern werden umgesiedelt; ihnen gehört der Boden, den sie bebauen, ohnehin nicht. Genau genommen gehört der niemandem, daher nimmt sich die Kanalbaugesellschaft, was sie braucht. Und sie braucht viel!

So kommt es, dass Inti und seine Familie jetzt auf einem Lastwagen die engen Kurven in die Berge hinauf schaukelt. Irgendwo dort oben erwarten ihn ein Stückchen Land, ein paar Hühner und Schweine und eine Hütte. Für sein leibliches Wohl wird vorläufig die Company sorgen, haben sie gesagt. Qita, seine Frau, hockt neben ihm, die Augen in die Ferne gerichtet.

Dort unten im Tal breiten sich die riesigen Gebäude zweier gewaltiger Kernkraftanlagen unübersehbar aus, gewachsen in 15-jähriger Bauzeit auf jedem Ufer des künftigen Kanals eine. Inti und seine Frau Qita haben sie noch als Stahlgerippe erlebt, als sie beide noch Kinder waren.

Grauen

Vor zwei Jahren haben Männer mit Bulldozern den feuchten Wald weg rasiert, vom Tal unten angefangen, v-förmig die Hänge hinan, bis dorthin, wo kein Wald mehr wächst. Eine wüste Fläche reckt ihre letzten Totenfinger fahl in den tropischen Himmel, der heute diesig und heiß einzig den Mücken dient.
Die Männer haben von großen Schiffen erzählt, und dass hier die beiden größten Weltmeere aneinander stoßen, und dass die alte Verbindung zu klein ist, und dass der Fortschritt kommen soll.

Qita hat geweint, als sie den Totem ausgegraben hat, wo ihr Vater und ihre Mutter begraben liegen. "Das Kreuz", hat Inti gebrummt, "soll hier bleiben!" Gelacht hat er und gemeint: "Es wird die Laster abhalten, die Gräber zu überfahren." Heute morgen kamen die Laster und haben all' sein Hab und Gut aufgeladen. Mit ihm, seiner Frau und seinen beiden Kindern zusammen sind sie weg gefahren. Das Meer wird auch nicht an Gräbern halt machen.

Deshalb haben die Fahrer auch nicht mehr gesagt als: "Geht nicht anders, sonst kommen wir nicht 'ran!"

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